Petra Kolmer / Kristian Köchy (Hgg.)

Gott und Natur. 
Philosophische Positionen zum neuesten Streit um die Evolutionstheorie


Verlag Karl Alber, Freiburg i. Br./München  2011


Fachgebiete:
Philosophie, Gesellschaftskritik
Schlagwörter: Philosophie, Evolutionstheorie, Kreationismus, Brights-Bewegung, Wissen und Glaube, Wissenschaft und Weltanschauung


Aus dem Vorwort:

"Am 7. Juli 2005 publizierte die New York Times einen Artikel des Erzbischofs von Wien, der den Titel Finding Design in Nature trug. Der Artikel entfachte – nicht zuletzt in Deutschland – neuen Streit um Darwin und die Evolutionstheorie. Neu war vor allem, dass der Streit öffentlich ausgetragen wurde und schließlich sogar zu einer Art Kulturkampf mit politischer Dimension avancierte.

Der Streit ist nicht beigelegt, aber offensichtlich zur Ruhe gekommen – Gelegenheit, über das Geschehene nachzudenken, nach den Gründen und Ursachen zu fragen. Sie liegen nicht auf der Hand. Schien es doch lange Zeit, als lebten katholische Kirche und moderne Naturwissenschaften in friedlicher Koexistenz zusammen. Der Schein trog (und trügt) nicht. Denn nicht katholische Kirche und moderne Naturwissenschaft standen sich im aktuellen Streit gegenüber, vielmehr zwei Weltbilder, die sich aus den institutionellen Kontexten der christlichen Kirche einerseits, der Naturwissenschaft andererseits herausgelöst und unmittelbar in der Lebenswelt etabliert haben –  gebunden an zwei Bewegungen (movements), die im englischen Sprachraum verwurzelt sind:

Auf der einen Seite verteidigten orthodoxe Christen (sogenannte ‚Kreationisten’) die These, dass die Entstehung des Universums und des Lebens zureichend nur von einer gestaltenden höheren Intelligenz her erklärt werden kann und diese Erklärung denselben Theoriestatus besitzt wie die Evolutionstheorie, so dass eine „Intelligent-Design-Theorie“ auch im Biologieunterricht lehrbar ist. Auf der anderen Seite versuchte die (inzwischen auch in Deutschland etablierte, international durch Richard Dawkins bekannte) „Brights“-Bewegung – eine Internet-Gemeinschaft von unabhängigen Individuen mit einem „naturalistischen Weltbild“, das „frei ist von übernatürlichen und mystischen Elementen“ – die Vorstellung von einem „intelligent design“ der Natur als Produkt bloßer Phantasie zurückzuweisen.

Was die Bewegungen eint(e) und den neuesten Streit ermöglichte, war (und ist), dass beide Kontrahenten eine Antwort auf Fragen, die Übersinnliches betreffen – etwa die Frage, ob das existiert, was wir lebensweltlich „Gott“ nennen – vom theoretischen Wissen (nicht vom religiösen Glauben) erwarte(te)n, aber nicht etwa von der Metaphysik, sondern von der Empirie, vor allem von der naturwissenschaftlichen Empirie. Das ist eine so merkwürdige, in dieser Form noch nie dagewesene Auffassung, dass sich die Herausgeber entschlossen haben, den vorliegenden Band herauszubringen.

Erstmals werden in ihm die Kontrahenten als zusammengehörend verständlich gemacht; und es wird die These aufgestellt, dass der neueste Streit um Darwin und die Evolutionstheorie überhaupt nur in einer Gesellschaft, wie der unseren, hat Aufmerksamkeit erringen können: in einer durch Massenmedien geprägten Gesellschaft, die eine szientistische Grundausrichtung hat, d.h. nur gelten lässt, was man wissen kann, aber unter Wissen bereits eingeschränkt ausschließlich naturwissenschaftliches Wissen, unter Rationalität lediglich kognitiv-instrumentelle Rationalität versteht, mithin Reflexions- und Bildungswissen (also die Wissensbestände der so genannten Geisteswissenschaften) vernachlässig und Moral- und Freiheitsintentionen wie auch Gehalte tradierter Religionen nicht mehr adäquat zu erfassen und zur Sprache zu bringen vermag. Keine der Parteien redet, wie sich zeigen wird, von dem, was wir z.B. in den großen Offenbarungsreligionen „Gott“ nennen.

Der vorliegende Sammelband ist insofern zugleich ein Plädoyer für das in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängte Wissen: vor allem für kritische Reflexion und Philosophie. Philosophie kann nicht verhindern, dass Streitigkeiten der bezeichneten Art entstehen. Aber sie kann ihnen, wenn sie denn ausgebrochen sind, „nach-denken“, sie aufklären und aufweisen, wie sie zu lösen sind.

Im vorliegenden Band jedenfalls gehen Autoren unterschiedlicher philosophischer Richtung auf die öffentliche Debatte um die Evolutionstheorie ein: unter Nutzung des Reflexionspotentials der abendländischen Philosophie und vor dem Hintergrund der von Hume und Kant begründeten These, dass wir von der Existenz oder Nichtexistenz eines „Übersinnlichen über uns“ (Kant), das wir lebensweltlich „Gott“ nennen und das Gegenstand religiösen Glaubens ist, theoretisch gar nichts wissen können: weder durch Metaphysik noch gar durch Empirie, die heute ein völlig säkularer Kontext ist, mithin noch nicht einmal als atheistisch bezeichnet werden kann, aber extern Platz lässt für einen mit ihr kompatiblen (begründbaren, rationablen) religiösen Glauben. ..."




Aus dem Inhalt:

Volker Gerhardt (Berlin), Das Göttliche als Sinn des Daseins. Reflexion auf das Verhältnis von 
    Gott und Natur  

Rafaela Hillerbrand (Aachen), Von Mausefallen und Designern oder: Warum der Kreationismus
    keine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie bietet

Ludger Honnefelder (Bonn/Berlin), Über den Kreationismus zu diskutieren, ist überflüssig 
Petra Kolmer (Bonn), Warum Streit um die Evolutionstheorie? Anmerkungen zur Vereinbarkeit von Glauben 
    und Wissen
Hans-Dieter Mutschler (Krakau), Darwinismus und Schöpfungstheologie 
Ludwig Siep (Münster), Evolution und Ethik 
Christian Spahn / Christian Tewes (Jena), Naturalismus oder integrativer Monismus? Zur Verhältnis-
    bestimmung von Natur und Geist 
Hartmut Westermann (Aachen), David Humes ‚Dialogues concerning Natural Religion‘ und der heutige
    Neokreationismus. Argumentationsanalytische Anmerkungen zu einem alten und zu einem neuen Streit
    um das ‚design argument‘